Von Aml Tahon

Im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, Professor Samuel Salzborn, hat der Historiker Stefan Jehne im Dossier „Die NS-Vergangenheit des Leitungspersonals der Berliner Arbeits- und Sozialverwaltung nach 1945“ die NS-Belastungen, oppositionellen Haltungen und Diskriminierungserfahrungen des leitenden Personals der West-Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Sozialwesen, ihrer Vorläuferstrukturen im Gesamtberliner Magistrat und ihrer Parallelstrukturen beim Magistrat in Ostberlin in den Jahren 1945 bis 1961 untersucht.

Das Dossier zeigt anhand einzelner Biografien, dass es sowohl belastete Personen als auch oppositionell Eingestellte und NS-Verfolgte in den Vorläufer-Institutionen der SenASGIVA gab: Zu Letzteren gehört beispielsweise der spätere Direktor des Berliner Arbeitsgerichts, Julius Naumann, der wegen seiner jüdischen Abstammung enteignet wurde und nach fünfjähriger KZ-Haft noch Zwangsarbeit bei der Deutschen Reichsbahn leisten musste. Ebenso gehört dazu die liberale Sozialpolitikerin, Frauenrechtlerin und Stadträtin für Sozialwesen Marie-Elisabeth Lüders, die während des Nationalsozialismus erheblichen Repressionen ausgesetzt war. Senatsdirektor Kurt Wehlitz war hingegen NSDAP-Mitglied und auch bereits vor und während des Nationalsozialismus im Fürsorgewesen beim Magistrat von Groß-Berlin tätig.

Der Historiker Stefan Jehne hält auch Wehlitz spätere ausgesprochen restriktive politische Position zur Fürsorge durch seine Tätigkeit im nationalsozialistischen Fürsorgewesen und der damit einhergehenden Prägung durch die NS-Ideologie begründbar.

Cansel Kiziltepe, Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung: „Meine Senatsverwaltung hat einen bedeutenden Schritt in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit ihrer NS-Vergangenheit gemacht. Gerade für eine Senatsverwaltung, die in Bereichen arbeitet, wo Menschen Unterstützung und Schutz erfahren sollen, ist ein solcher Blick in die Vergangenheit unerlässlich. Dies umso mehr, weil Antisemitismus, menschenverachtende Einstellungen und Demokratiefeindschaft in Deutschland und auch in Berlin wieder zunehmen.“

Professor Samuel Salzborn hat in seinem letzten Umsetzungsbericht (Senatsbeschluss vom 05.04.2022; Drucksache 19/0300) betont, dass „der nationalsozialistische Antisemitismus und die NS-Vernichtungspolitik, wie auch die lange Geschichte der Nicht-Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und der Shoah die zentrale Grundlage für heutigen Antisemitismus in der Bundesrepublik, wie auch in Berlin [bildet].“ (S. 62) Deshalb müsse die Präventionsarbeit auch die Tradierungen von Antisemitismus stärker in den Blick nehmen.

Professor Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus: „Weil die antisemitische NS-Diskriminierungs- und Vernichtungspolitik maßgeblich von staatlichen Akteuren konzipiert, gelenkt und durchgeführt wurde und nicht wenige von diesen Eliten nach dem Nationalsozialismus wieder in staatlichen Institutionen beschäftigt waren, ist es unverzichtbar, die selbstkritische Auseinandersetzung der Berliner Senatsverwaltungen mit NS-Kontinuitäten zu fördern. Dies ist umso wichtiger, weil auch heute auf Berliner Straßen wieder ein ‚Schlussstrich‘ in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gefordert wird.“